Die Leine - Fluch oder Segen?
Nur schon das Wort «Leine» löst ungeheure Emotionen aus und lässt innert Kürze heisse Diskussionen entstehen. Was macht es denn aus, dass die Leine, genauer gesagt die Hundeleine, so viel auszulösen vermag? Einige Gedanken und Überlegungen sollen zum Nachdenken anregen.
Für die einen Menschen bedeutet Leine Einschränkung, Beschneidung der Freiheit oder sie denken vielleicht an einen Hund der unangenehm an der Leine zerrt, der einen hinter sich her schleift oder gar Aggressivität zeigen könnte. In der Tat keine schöne Vorstellung. Für die anderen bedeutet die Leine Sicherheit, Gemeinsamkeit, eine Verbindung zum Hund, eine Herz-zu-Herz Verbindung, ein Mittel zur Kommunikation mit dem Vierbeiner.
Ohne Leine laufen zu dürfen, ist für Hund und Mensch, sofern es die Situation erlaubt, etwas Wunderschönes. Dafür sollten gewisse Voraussetzungen erfüllt sein:
• Der Hund kommt zuverlässig zurück, wenn er gerufen wird.
• Die Situation ist übersichtlich und vorbeifahrende Autos, Velos oder Menschen und Tiere können frühzeitig erkannt werden.
• Der Hund hat gelernt mit der Freiheit umzugehen.
• Die Jahreszeit erlaubt den Freilauf: Leinenpflicht für alle Hunde von anfangs April bis Ende Juli im Wald und am Waldrand (kantonale Regelung). Für jagdlich ambitionierte Hunde sollten dies selbstverständlich das ganze Jahr gelten, auch ohne Gesetz.
Wir leben in einer sehr belebten Welt. Viele Menschen verbringen ihre Freizeit in der Natur, sei es nun zu Fuss, mit dem Velo, auf Scootern, alleine, mit Kindern oder eben mit einem Hund. Damit wir alle gut und friedlich aneinander vorbeikommen, braucht es von allen Seiten Respekt - der Velofahrer verlangsamt sein Tempo und macht sich bemerkbar, der Hundehalter nimmt seinen Hund zu sich. Nicht alle Menschen mögen Hunde und einige haben gar Angst vor ihnen. Um unschöne Situationen zu vermeiden und auch um den Hund zu schützen, wird er bei Begegnungen angeleint – aus Respekt gegenüber der Umwelt und zur Sicherheit von allen. Dasselbe gilt an Strassen und in bewohnten Gebieten. Wie wir auch für unsere Kinder die Verantwortung im Strassenverkehr übernehmen, ist es nur fair, wenn wir dies mittels Leine auch für unsere Hunde tun und sie sich nicht sich selbst überlassen.
Wir alle lieben Freiheit. Doch Freiheit kann auch ganz schön herausfordernd sein. Damit lernen umzugehen ist ein Prozess, der nicht über Nacht kommt. Für viele Hunde bedeutet ohne Leine zu laufen, ohne Unterstützung und auf sich alleine gestellt zu sein. Woran kann man dies beispielsweise erkennen?
• Der Hund kann sich ohne Leine nicht von seinem Menschen lösen.
• Der Hund findet keine Ruhe um zu schnüffeln, die Umwelt zu erkunden oder sich zu versäubern.
• Der Hund verselbständigt sich oder macht sich gar aus dem Staub, ist nicht ansprechbar.
• Hunde beginnen Situationen selbst zu lösen, für die der Mensch verantwortlich wäre (Begegnungen mit Hunden, Menschen, anderen Tieren, Fahrrädern etc.). Menschen werden angebellt oder der Hund jagt hinter einem Fahrrad her.
Was braucht es denn, damit das Leinenlaufen nicht zu Frust und Gezerre ausartet? Einerseits braucht es eine angemessene Ausrüstung für den Hund. Halsband oder Brustgeschirr sollten passen, gut sitzen und nicht zwicken. Wie wir Menschen nicht gerne in zu engen Schuhen laufen, mögen auch Hunde keine zu engen oder zu weiten Brustgeschirre. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Leine. Jedes Lebewesen hat seinen Individualbereich. Wird dieser durch eine zu kurze Leine unterschritten, fühlt sich der Hund (manchmal auch der Mensch) sehr eingeengt und unwohl. Das führt fast zwangsläufig dazu, dass der Hund mehr Distanz zum Menschen schaffen möchte und dadurch an der Leine zieht. Natürlich kann auch eine zu lange Leine zu Schwierigkeiten führen. Einerseits gibt sie zwar ein gewisses Mass an Freiheit, andererseits muss aber das Handling damit auch gelernt sein. Manche Hunde sind mit langen Leinen auch schlicht überfordert und verlieren den Boden unter den Pfoten.
Nebenbei erwähnt: Hunde die an einer Flexileine geführt werden, können sich nur unter einem gewissen Zug an der Leine fortbewegen. Der Hund lernt somit, dass er ohne Zug nirgends hinkommt und beginnt zu ziehen. Ein weiterer Grund, keine Flexileinen zu benutzen: fällt sie aus der Hand, rollt sie sich unter lautem Scheppern am Boden selbst auf und spickt unkontrolliert auf den Hund zu. Nicht selten geraten gerade kleine Hunde in Panik und rennen davon – mit dem scheppernden Ding im Schlepptau. Autounfälle und anderes kann die Folge sein.
Je achtsamer ich als Mensch mit der Leine umgehe, nicht unbeabsichtigt daran ziehe oder auch bewusst einen Leinenruck ausübe, desto feinfühliger wird der Hund lernen auf Veränderungen, die er über die Leine wahrnimmt, zu reagieren. So kann das Leinenlaufen für beide Seiten zu einem wunderschönen Erlebnis werden. Gemeinsam spazieren und entdecken - Herz zu Herz.
Mögliche Gründe, warum der Hund an der Leine zieht:
• Schlechte/nicht passende Ausrüstung (die Leine sollte auch für den Menschen gut in der Hand liegen!)
• Unachtsamkeit des Menschen
• Er hat es nie gelernt
• Müdigkeit (an der Leine anlehnen)
• Der Hunde muss sich versäubern
• Hohe Aufregung
Ein ungeschriebenes Gesetzt lautet: Wenn dir ein angeleinter Hund entgegenkommt, dann Leine auch deinen an und lass ihn nicht ungefragt mit dem entgegenkommenden Hund in Kontakt kommen. Es gibt immer einen Grund, warum ein Hund an der Leine läuft. Auch wenn wir diesen nicht kennen, ist es nur Höflichkeit, Anstand und Respekt vor dem Gegenüber, dass wir auch unseren Hund zu uns nehmen und anleinen.
Mögliche Gründe, warum ein Hund an der Leine läuft:
• Es ist ein Ort, wo der Hund nicht freilaufen sollte oder wo Leinenpflicht herrscht (bewohnte Gebiete, stark befahrene Strassen, Wald und Waldrand zu bestimmten Jahreszeiten, es ist unübersichtlich etc.).
• Der Rückruf funktioniert nicht zuverlässig. Auch dafür gibt es verschiedene Gründe, über die wir nicht urteilen sollten! Möglichweise sind Hund und Mensch noch nicht lange ein Team oder der Hund ist mit einem fremden Menschen unterwegs oder aber der Hund ist es erst am Lernen.
• Jagende Hunde. Jagen ist ein Instinkt, der bei Wölfen fest verankert ist – ohne Jagen kein Überleben. Auch unsere Haushunde besitzen diesen Instinkt noch immer, wenn auch nicht alle gleich ausgeprägt.
• Der Hund ist verletzt, krank, alt oder ein Schmerzpatient. Niemand lässt sich gerne anrempeln, besonders nicht wenn Schmerzen im Spiel sind.
• Der Hund und/oder Mensch hat schlechte Erfahrungen mit anderen Hunden/Menschen gemacht.
• Die Hündin ist läufig resp. der Rüde liebeskrank.
Manchmal lohnt es sich, eigene Gewohnheiten und Muster zu überdenken und den Mut zu haben, etwas Neues auszuprobieren. Seinem Gegenüber ohne Vorurteile und Erwartungen zu begegnen, macht unser Zusammenleben und das unserer Hunde einfacher, entspannter und nicht zuletzt lebenswerter.